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Zwischen Clubbing und Rembetiko

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In einem der vielen Clubs in Gazi
Was für eine Nacht! Es ist Freitagabend und das Viertel rund um den Gasometer und der U-Bahn-Station Kerameikos erwacht zum Leben. Zwei Redakteurinnen aus dem Wissenschaftsressort von To Vima nehmen mich mit auf eine Reise durch das moderne Athener Nachtleben. Noch ahnt niemand von uns, dass dieser Ausflug weitab von Gazi enden wird.

Mitte des 19. Jahrhunderts brummte hier die Gasfabrik und versorgte Athens Straßenlaternen mit Energie. Heute strömen Hunderte Menschen durch die Gassen von Gazi, um Spaß zu haben. Vom Arbeiterviertel wandelte sich das Gebiet vor 100 Jahren zu einem der ärmsten Orte der Stadt. Seit einigen Jahren reihen sich hier allerdings Restaurants, Bars und Clubs aneinander. Junge und ältere Menschen kommen am Wochenende her, um zu feiern. Sie wollen für ein paar Stunden die Krise vergessen und unbeschwert sein.

"Lieber verzichte ich auf eine neue Jeans, damit ich ausgehen kann", fasst eine meiner beiden Begleiterinnen die Mentalität der feiernden Massen zusammen.

Wie so oft in diesem Winter schwelt der Geruch von verfeuertem Holz über Gazi. Viele heizen so ihre Wohnungen, Gas und Öl für Heizungen sind teuer. Doch private Kamine und selbst gebaute Öfen sind zuletzt gefährlich geworden. In ihnen haben viele nicht nur Brennholz angezündet, sondern auch alte, kaputte Möbel und Sperrmüll. Rasch hat sich ein giftiger Smog in manchen Stadtteilen entwickelt. "Man konnte ihn nicht nur riechen, sondern er hing wie dichter Nebel in den Straßen", sagt eine meine Begleiterinnen.

Unser erster Halt an diesem Abend ist eine neue Cocktailbar, seit zwei Monaten geöffnet. Hier gibt es Drinks, die von der Molekularküche inspiriert sind: dampfende Daiquiris, blubbernde Martinis und bunte Shots zum Löffeln. Zu uns stoßen vier Freunde der Redakteurinnen.
Nach dem kleinen Ausflug geht es weiter in einen nahen Club. Wie viele Bars und Restaurants ist er gut mit Menschen gefüllt. Drinnen wird wie in den meisten Lokalen geraucht. Eigentlich nicht erlaubt. Seit der Krise sehen viele Besitzer aber darüber hinweg. Schließlich sind sie froh, wenn sich ihre Läden füllen. Der Boden vibriert, während die Bässe aus den Lautsprechern wummern. Das Publikum ist bunt gemischt: Junge und alte Leute feiern hier gemeinsam zu den Clubhymnen der letzten Jahre. Schwule, Lesben und Heteros tanzen und feiern im Shamone.

Taxis stehen an vielen Straßen heute Schlange. Das war nicht immer so.
Es ist bereits weit nach Mitternacht, als das ältere Paar in unserer Gruppe vorschlägt weiterzuziehen. Wir verlassen das Shamone. Draußen stehen Dutzende Taxis Schlange. "Das ist auch erst seit der Krise so", erzählt eine meiner Begleiterinnen. Taxis waren eine der günstigsten Fortbewegungsmittel für viele Athener. Die gelben Wagen rasen Tag und Nacht durch die Straßen. Vor den Steuererhöhungen, den Lohnkürzungen und den vielen Menschen, die arbeitslos wurden, war es in Athen kaum möglich an einem Abend wie diesem noch ein freies Taxi zu erwischen. Jetzt sind schon die wenigen Euro für eine Fahrt viel Geld.

Mit dem Auto fahren wir raus aus Gazi Richtung Küste. Wir landen in Nikea einer Vorstadt von Athen. Sie ist so eng mit Athen und der Hafenstadt Piräus verwachsen, dass man gar nicht bemerkt, dass der Ort streng genommen gar nicht mehr zu Athen zählt.

Das Pärchen aus unserer Gruppe führt uns zu einem kleinen Restaurant namens Η Αλλη Σκαλα. Drinnen feiern Dutzende Menschen. Es ist der wohl griechischste Ort, an dem ich bislang gewesen bin. Eine kleine Gruppe Amateurmusiker spielt traditionelle griechische Musik. Die Leute hier feiern bei Wein, Brot und Fleisch.

Es ist griechischer Blues, der den Gastraum erfüllt. So versuchen manche das Rembetiko zu beschreiben. Der Musikstil ist ursprünglich auch in Piräus entstanden. Es ist die Musik der Menschen, die sich nach dem Ersten Weltkrieg hierher flüchteten. In einer Zeit, als Griechen im Osmanischen Reich systematisch verfolgt und ermordet wurden. Ab den 1930er Jahren entwickelte sich das Rembetiko zu der wohl bekanntesten volkstümlichen Musikrichtung in Griechenland.
Wir setzen uns an einen Tisch und meine griechischen Freunde beginnen einige der Lieder mitzusingen. Die Musiker im Restaurant spielen dazu Gitarren, Akkordeon und Bouzouki. Die Texte berichten von den Sorgen und Nöten der einfachen Menschen aus vergangenen Zeiten. "Das ist Alltagssprache", sagt eine meiner Begleiterinnen. "Keine kitschige Volksmusik, wie es sie auch gibt, sondern etwas, das einen berührt."

Sie hat recht. Alles ist familiär und freundschaftlich. Es fühlt sich gut an, hier zu sein. Filotimo! Einige tanzen, es wird viel gelacht. Wir bestellen Wein, Lammkeule aus dem Ofen, frittierte Kartoffeln. Irgendwann gegen 5 Uhr morgens endet diese Nacht.

Ich beschließe, dass diese zwei Wochen in Athen nicht meine Letzten gewesen sein werden. Ich komme wieder.
Traditionelle griechische Küche

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